Flug in den Sonnenuntergang bei Hanstholm (DK). Foto: Ehrhard Wende

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  • Der 13. ist mein Glückstag

    Heute hab ich ich mir mal einen Wecker gestellt – ich geh immer noch davon aus, dass ich nur vormittags ein kurzes Zeitfenster haben werde, in dem die Windstärke für einen entspannten Flug an der Steilküste von Bovbjerg passend sein wird. 6 Uhr 15 ist Tagwache, kurzes Frühstück, und dann geht’s los. Meine Ausrüstung, die ich nicht brauche, bleibt im Shelter zurück.

    Pünktlich um 8 steh ich am Startgelände in Ferring und mach mich mit dem Startplatz oben auf der Steilküste, der Umgebung und den Landemöglichkeiten vertraut. Noch ist Parawaiting angesagt, der Wind ist noch nicht stark genug, weht aber schon aus der genau richtigen Richtung. Zur Verkürzung der Wartezeit ist meine Reiselektüre mit am Startplatz und ich genieße eine morgendliche Lesestunde in der Sonne.

    Eine Stunde später, gegen 9 Uhr, zeigt mein Windmesser 15 km/h aus West an. Mein Gefühl sagt mir, dass das bereits für genügend Auftrieb an dieser Kante sorgen könnte. Wenige Minuten später, zieh ich meinen Schirm auf und laufe mit ihm nach vorne an die Abbruchkante der Steilküste. Ich spüre: Sissy will fliegen! Zwei zügige Schritte und ich schwebe über die steile Kante in den freien Luftraum vor der Endmoräne von Bovbjerg. Yeahhhhh!

    Noch ist der Flug richtig Arbeit. Der Wind ist grenzwertig, beinah zu schwach und ich muss den Schirm mit viel Fingerspitzengefühl an der Kante entlang fliegen, jedes Stückchen Aufwind mitnehmen, damit ich nicht absaufe und am Strand landen muss. Aber dieses Spiel kenn ich, und ich bleib oben.

    Wie vorhergesagt frischt der Wind zunehmend auf und es wird mehr und mehr völlig entspannte Genussfliegerei.

    Der Plan ist aufgegangen – ich freu mich, dass ich diesen mega Tag hier erleben darf. Und die ganze über 3 km lange Kante gehört mir alleine, keine weiteren PilotInnen sind in der Luft. Ganz am nördlichen Ende bei Ferring ist Sören, eine Däne mit seinen Segelflugmodellen am Fliegen, aber wir haben eine gute Absprache getroffen, so dass wir uns nicht gefährden. Und am Startplatz übt Mario, wie er am Besten in die Luft kommt.

    Mit zunehmendem Wind geht es immer höher über die Kante hoch, wenn ich das möchte.

    Manchmal bau ich aber über dem Meer Höhe ab und kurve tief über m Strand an den Hang zurück, um mich dort in S- förmigen Schleifen in kürzester Zeit wieder auf knapp 100 m hochtragen zu lassen. Stundenlang kann ich dieses Spiel treiben.

    What a day!!!

    Von Zeit zu Zeit überprüf ich in der Luft, ob der Wind zu stark wird. Dazu wähle ich eine Flugrichtung direkt in den Wind und lass den Schirm ungebremst und unbeschleunigt im Trimspeed gleiten. Wenn ich so voll gegen den Wind noch Vorwärtsfahrt über Grund mache, ist alles gut, denn ich hab immer noch eine Geschwindigkeitsreserve von konservativ 10 km/h durch meinen Fusstrimmer/Beschleuniger. Damit kann ich dann zur Not zur See hin von der Kante wegfliegen und im windschwächeren Bereich am Strand landen. Ausgereizt wird das aber nicht. Als meine Geschwindigkeit über Grund nur noch Schrittgeschwindigkeit beträgt weiss ich, dass es nun mit ca 30 km/h bläst. Zeit für mich, landen zu gehen.

    Statt der erwarteten 1 bis 2 Stunden habe ich heute 5 Stunden über der wunderschönen jütländischen Westküste gehangen. ☀️

    Damit ist das Erlebnis aber noch lange nicht vorbei, denn wie schon die Tage zuvor bin ich mit supernetten und interessanten Menschen in’s Gespräch gekommen. Das jetzt noch alles zu erzählen schaff ich nicht mehr, und wer soll das auch alles lesen! – Nur soviel vielleicht: zu meiner Playlist muss ich neue Titel hinzufügen. Ich hab die Eltern von Sinne Eeg kennengelernt, eine ziemlich bekannte Jazzkomponistin und Sängerin, aber mit sagte der Name Nichts. Neugierig wie ich bin hab ich auf Spotify gleich mal reingehört und tataaa, richtig gute Musik.

    Sodele, das war’s für heute. Meine Flugausrüstung liegt wieder schön ordentlich aufgeräumt im Packsack für die nächste Etappe auf m Rad.

    Feierabend

  • In Sichtweite zum Leuchtturm Bovbjerg

    Mit Vogelgezwitscher beginnt der neue Tag nach einer weiteren kalten Nacht.

    Ich weiß nicht, wie die Temperaturen wirklich sind, 3 bis 5 Grad, so um den Dreh wird es sein. Den Schlafsack mach ich jedenfalls bis zum Anschlag zu und zieh den Wärmekragen und die Kapuze dicht. So lässt es sich gut aushalten.

    Bereits zum Frühstück weht ein Lüftchen aus Süden – es wird schnell wärmer und ich möchte den idyllischen Lagerplatz nur ungern verlassen. Da ich heute nur eine kurze Strecke von ca 35 km vor mir habe, kann ich mir viel Zeit lassen und mach erstmal etwas Kartenarbeit. Zur Planung der nächsten Tage trage ich alle mir bekannten Fluggelände in meine Fahrradkarte ein. Ganz old school arbeite ich hier noch mit Papier.

    Anschließend roll ich ganz gemütlich nach Norden Richtung Bovbjerg. In Thorsminde ist Zwischenstop für einen Kaffee, Auffüllen der Vorräte für die nächsten 2 Tage und einen kurzen Besuch im Museum St. George, das die Geschichte rund im die vielen gestrandeten Schiffe an der Westküste Jütlands aufbereitet.

    Von Thorsminde sind es nur wenige Kilometer bis zum Leuchtturm Bovbjerg.

    Dieser steht auf einer ca 40 m hohen Erhebung, die als Steilküste in die Nordsee abfällt.

    Natürlich bin ich zum Fliegen her gekommen, schließlich ist dieses Cliff einer der bekannten Spots für Gleitschirmflieger. Aber für mich als Geowissenschaftler hat sich der Besuch auch ohne Fliegen schon gelohnt, denn auch geologisch ist diese Kante sehr bekannt. Die Kuppe, auf der der Leuchtturm steht, ist Teil der Endmoräne aus der letzten Eiszeit. Bis hierher kam vor 20.000 Jahren das Eis aus dem Norden, und kein Schritt weiter. Die Nordsee hat sich über die Jahrtausende quer durch diese Erhebung durchgefressen und so sieht man vom Strand aus quasi in’s Innere der Endmoräne und kann erahnen, wie das Eis diesen riesigen Wall zusammengeschoben und hat. Im Bovbjerg Minimuseum gibt’s eine kleine Ausstellung dazu, leider nur auf Dänisch.

    Aber mein Plan sieht ja vor, dass ich am morgigen Dienstag an dieser Kante fliegen geh:

    Die Windprognose hat sich leider etwas verschlechtert und es wird, wenn ich Glück habe, nur vormittags für 1 bis 2 Stunden mit gut 20 km/h aus Westen wehen. Ab Mittag wird der Wind deutlich auffrischen und zu stark für mich und meine Sissy werden.

    Es ist wie immer: Mal sehen wie’s tatsächlich wird

  • Ich probier’s mal mit Gemütlichkeit am Tag 11

    Heute ist Sonntag, Muttertag noch dazu, da soll’s gemütlich zugehen. Die nächsten beiden Tage wird es für mich an der Westküste Jütlands keinen Fliegewind geben, allerdings sind die Prognosen für Dienstag wieder seeeeehr vielversprechend.

    Da will ich am Bovbjerg Fyr in der Nähe von Lemvig sein. Bis dahin sind es auf dem kürzesten Weg bummelige 70 Radwegkilometer, das sollte in zwei Tagen machbar sein. Ich beschließe deswegen, an diesem wunderschönen Frühlingsmuttertagssonntag einen kleinen Umweg über Ringkobing, eine der ältesten Städte Dänemarks, zu machen. Aber der Reihe nach!


    Der Tesla als Campervan
    Vergangene Nacht parkten neben meinem Zelt ein Tesla und ein riesiger zum Camper umgebauter Kastenwagen. Dazu gehörten zwei Paare aus Passau. Naiv wie ich war dachte ich, dass die alle vier in dem Riesen Camper schlafen – aber nix da: heute früh ging plötzlich die Tür des Tesla auf und einer der Bewohner kletterte noch etwas schlaftrunken aus der Limousine. Er deutete meinen offenstehenden Mund richtig und begann sofort mit der Erklärung: Mit umgeklappter Rückbank habe er eine Liegefläche von 1,2 x 2,2 m, dicke passgenaue Matratze dazu, feinste Daunendecken und die über den Bordakku betriebene Klimaanlage läuft die ganze Nacht und hält den Tesla-Camper auf angenehm trockenen Raumklima bei 20 Grad. Kostet ca 5% der Akkuladung. So wird heute gecampt!


    Ich dagegen wurschtel mein vom Tau der Nacht klatschnasses Zelt in den Packsack und mach mich reisefertig.

    Entlang des Ringkobingfjords geht’s nach dem gleichnamigem Städtchen mit kleinem Fischerhafen und schmucker kleiner Altstadt.

    Auf dem weiteren Weg Richtung Norden gab’s dann was Seltenes: Rückenwind, und dazu herrlich nach Frühling duftende warme Luft. Kein Gegenwind, der in den Ohren brüllt. Jetzt ist die Zeit gekommen für Stöpsel im Ohr und feine Musik in die Gehörgänge.
    “Wenn ich mit meinem Fahrrad fahr, ist das das Optimale, und lüftet die Sandale” singt mir Max Rabe in’s Ohr während die Schubkarotte ganz lässig mit 25km/h durch Westjütland rollt.

    Zum Mittag mach ich Halt an der Kirche von Stadil Kirkeby, an deren Südseite ich auf einer gemütliche Sitzbank mit Blick auf den Stadil Fjord vor mich hin brate. Nur wenige Kilometer weiter bin ich wieder in Vester Husby – ja genau, jenem Husby, in dem ich vor zwei Tagen Fliegen war. Man lässt ja Nichts unversucht und ich schaue vorsichtshalber an den Strand, ob es nicht vielleicht doch fliegt heute. Tut es aber nicht – beinah windstill ist es und herrlich warm.

    Westjütland – die Wiege der modernen Windkraftanlagen
    Während ich am Strandübergang sitze und überlege, wo ich heute Nacht schlafen will, mache ich die Bekanntschaft mit Karin. Sie erzählt, dass sie in den 1970′ er Jahren nur wenige Kilometer entfernt bei Ulfborg zusammen mit Freiwilligen die damals größte Windkraftanlage der Welt mit einer Nabenhöhe von 54 m gebaut hat. Die Achse, auf der der Rotor sitzt, war eine ausgediente Schraubenwelle aus dem Schiffbau, als Generator kam ein Antriebsmotor aus einer schwedischen Papiermühle zum Einsatz. Was für ein Projekt! Hier gibt’s mehr Infos dazu: https://www.tvindkraft.dk/

    Die Anlage hat allerdings einen Designfehler: der Rotor läuft nicht wie bei modernen Windkraftanlage mit der Nase in den Wind, sondern er wird sozusagen rückwärts angeblasen. Das führte dazu, dass die Rotorblätter starken Vibrationen ausgesetzt waren, denn bei jedem Umlauf mussten sie durch den turbulenten Windschatten des Turmes laufen. Dadurch konnte die Anlage nur mit relativ geringen Drehzahlen und eingeschränkter Leistung betrieben werden. Nur ca 30 km weiter südlich in Lem ist die Geburtsstätte des bekannten Windturbinenbauers Vestas. Dessen Ingenieure haben sich die Anlage bei Ulfborg wohl genau angeguckt und das Konzept verbessert. Nun haben die Windmühlen die Nase wieder im Wind. Das haben die Holländer vor vielen hundert Jahren aber auch schon gewusst.


    Übernachtet wird heute auf einem wieder ‘mal mega idyllischen Shelterplatz in der Dünenlandschaft bei Vester Husby. Auf dem Weg dahin gibt’s dann einen kurzen Überraschungsmoment. Beim Abbiegen gerät das Vorderrad der Schubkarotte in weichen Sand und rutscht weg. Da liegt der Bock samt Fahrer im Sand.

    Aufstehen, Krönchen richten und weiter geht’s durch die Heide und Dünenlandschaft.

    Heute Nacht hab ich zum aller ersten Mal Gesellschaft von anderen Tourenradlern. Sabine und Lars sind ebenfalls auf der Westküstenroute unterwegs. Platz ist genug für uns auf dem tollen Platz am See!

    Während ich diese Zeilen schreibe geht vor meinem Shelter das Licht aus, absolute Stille um mich herum, nur ab und zu ruft ein Kuckuck oder ein Frosch quakt. Schöner kann eine Nacht im Freien nicht sein. Gute Nacht!

  • Tag 10 – Zeit für eine Pause

    Mir ist nach etwas Entschleunigung – Tag 10 verspricht strahlenden Sonnenschein und schwachen Wind. Perfektes Strand- und Relaxwetter. Ich freu mich auf etwas Wärme. Ja, Sonnenschein hatte ich genug, aber der stramme kalte Wind als ständiger Begleiter während der vergangenen 7 Tage hat die gefühlten Temperaturen stets in den Keller gedrückt. Heute soll das anders werden, bitte!

    Zum Frühstück kehre ich bei Ejvinds Bäckerei ein und gönn mir ein leckeres Baguette.

    Danach geht’s auf der Schubkarotte ein paar Kilometer nach Süden zum Leuchtturm Lyngvig Fyr.

    Der Rest des Tages ist schnell erzählt: In Sichtweite zum Leuchtturm verbring ich wunderschöne Stunden im weißen Sand, relax und genieß die Sonne.

    Oder ich spiel in einer leichten von See kommenden Brise barfuß mit meinem Gleitschirm, und wenn der Wind etwas auffrischt turne ich am Strandübergang die Dünen hoch und zieh zusammen mit den Möwen ein paar gedachte Linien in die Luft über den Dünen.

    Auf dem Heimweg muss noch Abendessen besorgt werden. Beim Supermarkt soll es heute grönländische Garnelen, die Reijer, geben. Zu einem Aufenthalt in Dänemark gehört das für mich einfach mit dazu: Krabben pulen, Brot mit gesalzener Butter und Schlückchen Wein dazu. Das ganze diesmal als Camping- Variante. Passt!

    Ein klein wenig Arbeit muss dann doch noch erledigt werden: Nach ca 500 km, etliche davon auf Sand oder Kieswegen, hat sich auch die Schubkarotte ein Schluck Öl verdient. Bis jetzt hat sich das Radel tadellos bewährt – so kann’s weitergehen.

  • Heute wird geflogen

    So ist zumindest der Plan…

    Achtung: viel Text 😜

    Morgens, noch im warmen Schlafsack liegend, checke ich die Wettervorhersage und die aktuellen Windmessdaten. Uiuiui – die Wettervorhersage ist immer noch gut, Wind aus Westnordwest mit etwas über 20 km/h, leicht zunehmend, bei bedecktem Himmel und 10 Grad. Aber die nächstliegende Windstation zeigt schon deutlich stärkeren Wind an. Egal! Die Erfahrung hat gezeigt, dass man immer an den Strand und selber schauen muss, wie die Bedingungen sind. Wer nur Ferndiagnose per Internet macht kommt nie in die Luft!

    Erstmal lecker Frühstück und einen warmen Kaffee in den Bauch und dann geht’s los. Eigentlich könnte ich direkt außerhalb von Sondervig an den Strand und dort auch Fliegen gehen. Ich entscheide mich aber anders: Ca 18 km weiter nördlich gibt es in Husby einen offiziellen Startplatz und ich hoffe, dort auf andere Piloten zu treffen. Einer spielt immer den Dummy und dann sieht man recht schnell, ob es fliegbar ist. Also ab auf den Bock und in die Pedale treten.

    Als ich auf Husby zu rolle kann ich schon den ersten Gleitschirm über der Düne erkennen – es geht also. Nur, der Schirm den ich sehe, macht kaum Fahrt gegen den Wind, steht quasi in der Luft – es weht also tatsächlich deutlich stärker als vorhergesagt. Am Strand angekommen sehe ich ein halbes Dutzend Piloten im Windschatten der alten Bunker und wir kommen schnell in’s Gespräch. Lokale Piloten mit Ortskenntnissen sind leider nicht dabei, dafür zwei sehr gesellige Schweizer Best-Ager, also so ca in meinem Alter, und ein supernettes junges Paar aus dem Allgäu, Janina und Simon.

    Markus, einer der beiden Schweizer, ist der Pilot, den ich in der Luft gesehen habe. Er flog mit seinem “normalen” Gleitschirm und meinte, es würde schon gehen, aber nicht besonders viel Spaß machen, weil der Wind sehr böig sei. Er ist langjähriger Pilot und Tandem-Pilot und so vertraue ich seiner Einschätzung. Also Auspacken und flugfertig machen!

    Mein Grundsatz bei starkem Wind ist allerdings, dass ich immer erst am Strand ein paar Minuten mit dem aufgezogenen Schirm über und neben mir herumturne – Power Groundhandling – um das Gefühl für den Wind im ungefährlichen Strandbereich zu erarbeiten und auch zu prüfen, ob ich mental fit genug für s Abheben bin. Es funktioniert gut, ich habe die Sissy gut unter Kontrolle, und so wage ich mich Stück für Stück näher an den Dünenfuss in den Bereich, wo sich das Aufwindband bildet. Wenig überraschend spür ich schon einige Meter vor der Düne, wie Sissy fliegen will: die Startentscheidung ist gefallen, ich mach 2, 3 zügige Schritte und heb noch am flachen Strand ab. Schon trägt es mich nach oben – schnell fasse ich mit meinem linken Fuß den Trimmer, das Gaspedal des Gleitschirms, und Sissy beschleunigt gegen den Wind und bringt mich nach Vorne über den Strand in die Zone, wo der Aufwind nicht zu stark ist und ich keine Gefahr laufe, rückwärts über die Düne weggeblasen zu werden.

    Mit einem breiten aber hochkonzentrierten Grinsen im Gesicht erkunde ich mein Flugrevier aus der Luft.

    Bei ca 30 km/h Mittelwind und Böen bis über 40 flieg ich am oberen Limit, das ich mir setzte. Bei diesem Wind habe ich immer noch eine ausreichende Sicherheitsreserve, aber ich muss aufmerksam fliegen, regelmäßig die Wasseroberfläche auf Anzeichen zunehmenden Windes absuchen und aufpassen, dass ich keine groben Fehler mache. Aber Spaß macht es halt schon, mit dem Flügel die Kraft des Windes spielerisch auszunutzen.

    Eigentlich ist das heute aber ein Tag für kleinere Schirme, Miniwings oder Parakites wie z.B. ein Flare Moustache. Die haben im Zweifel einfach die größere Geschwindigkeitsreserve. Und tatsächlich bin ich heute der einzige mit normalem Gleitschirm, alle anderen fliegen mit dem Moustache oder ähnlichen Geräten.

    Kilometerlange Dünen in Husby aus der Möwenperspektive. Vorne Links am Strand ein Pilot mit einem Schnurrbärtchen, dem Flare Moustache.

    Kurzer Exkurs, warum ich nicht mit einem Parakite unterwegs bin: Mir sind die Dinger zu schnell. Die enorme Geschwindigkeitsreserve verleitet dazu, bei noch stärkerem Wind fliegen zu gehen. Mehr Wind heißt mehr Geschwindigkeit und die Energie,die das System aufnimmt, wächst im Quadrat mit der Geschwindigkeit. Wenn ich einen Flugfehler mache und in die Düne einschlage, dann wird diese Energie in Verformung meines Körpers umgesetzt – und darauf hab ich keine Lust. Ich fass die Dinger nicht an. Noch am Abend konnten wir live erleben, wie ein Pilot mit einem Parakite in die Düne einbombte. Er hat mega mega Glück gehabt und außer einer Schnittverletzung keine weiteren Schäden davongetragen – außer wahrscheinlich ein beschädigtes Selbstbewusstsein. Aber das ist auch gut, denn Demut vor dem Wind und seiner Kraft sind ein guter Schutz beim Küstenfliegen.

    Nach ca 4 Stunden Airtime packe ich durchgefroren meine Ausrüstung wieder zusammen, noch ein unterhaltsamer Klönschnack mit Morten-endlich mal eine Däne-, und dann geht’s mit dem Radel wieder 18 km zurück zu meinem Zelt.

    Ich beschliesse, zur Feier dieses gelungen Flugtages Essen zu gehen und lass den Tag sehr gemütlich ausklingen.

    Ich komme mir fast schon vor wie beim Glamping, als ich mich auf dem Campingplatz im gemütlich warmen Aufenthaltsraum auf das Sofa plumpsen lasse.

  • Tag 8: weiter nach Norden

    Symbolbild des Tages: Entweder die Flagge oder die Schubkarotte steht in die falsche Richtung.

    Nein, nein, das hat schon alles seine Richtigkeit. Ich will weiter nach Norden, aber da kommt halt auch leider der Wind her. Wie gut, dass ich Zeit hab! Das Radeln gegen den Wind wird erträglich, wenn man langsam fahren darf. Darf ich! Ich schnecke regelrecht durch die Landschaft – meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 16,8 km/h. Addiert man die ca 25 bis 30 Sachen Windgeschwindigkeit dazu, dann fühlt sich das schon Recht kräftig an und das dauernde Rauschen in den Ohren nervt etwas.

    Warum nur will der Typ unbedingt gegen den Wind bolzen? Ganz einfach: für Morgen Freitag 9.5. ist Fliegewind für die Westküste Jütlands vorhergesagt – rund 25 km/h aus West-Nordwest. Im Prinzip idealer Wind für Veijers Strand, wo ich im Moment gerade bin, aber auch am Freitag wird der Luftraum hier wieder geschlossen sein für mich. Schwer zu ertragen: Top Bedingungen und nicht starten dürfen – ich muss hier weg!!!

    Ich folge dem nationalen Radwanderweg Nr 1 “Westküstenroute” von Veijers Strand Richtung Norden. Die Route führt völlig getrennt vom KFZ-Verkehr durch wunderschöne Heide, Dünen und Waldlandschaften.

    Hier leistet der Wind ganze Arbeit: Nördlich von Hvide Sande wandert eine Düne ins Landesinnere. Der Radweg musste schon verlegt werden – und in dieses Ferienhaus würde ich auch nicht mehr investieren wollen!

    Für sportliche RadlerInnen, die Tempo machen wollen, ist der Weg nur teilweise geeignet, da die Oberfläche des Weges über lange Strecken aus Sand und Kies besteht. Für die gemächliche Reise auf der Schubkarotte ist der Weg allerdings wie gemacht.

    Nach 66 km hab ich genug vom Gegenwind und biege rechts ab auf den Campingplatz in Sondervig. Ich liebe die alten dänischen Campingplätze mit gemütlichen Aufenthaltsräumen und praktisch eingerichteten Küchen mit Sitzgelegenheiten, wo man auch als Reisender mit Zelt etwas Komfort genießen kann. Insbesondere der warme Aufenthaltsraum hat es mir angetan. Nach einem ganzen Tag bei 10 bis 12 Grad im frischen Wind tut es gut, entspannt im Warmen sitzen zu können. Zum Sonnenuntergang geht’s natürlich noch ‘mal raus an die frische Meeresluft.

    Sonnenuntergang in Sondervig mit Wow-Effekt.
  • Tag 7: es fliegt

    nur wann?

    Die Wettervorhersage verspricht für den Nachmittag Wind aus Nordwest mit ca 18 km/h – alles andere als ideal aber mit viel Glück könnte das reichen zum Abheben.

    Allerdings wäre da noch eine Klitzekleinigkeit: Veijers Strand liegt mitten in einem militärischen Übungsgebiet und deswegen muss ich mich auf briefing.naviair.dk informieren, ob es temporäre Luftraumbeschränkungen gibt. Leider ist das so: Von 9 Uhr bis 15 Uhr Nachmittags ist die Luftraumsperrung über dem Übungsplatz aktiv.

    Screenshot aus briefing.naviair.dk. Die gefürchteten roten Flächen weisen auf Luftraumsperrungen hin.

    Klar, ich bin jetzt kein Himmelsstürmer, wenn ich mit meinem Schirm über der Düne rumkratze, aber ich nehme als Pilot am Luftverkehr teil und muss mich an die Regeln halten. So ist das eben. Beim Skat sticht auch der Ober den Unter. Ich lass Nichts unversucht und vergewisser mich durch einen Anruf beim Sicherheitsoffizier des Schiessplatzes, ob Flüge mit maximaler Höhe von 30 m über Meeresspiegel nicht vielleicht doch möglich sein könnten. Aber die Antwort kam sehr schnell und deutlich: Not at all! Ok, Fragen koscht nix😀

    14 Uhr steh ich am Strand und packe meine Sissy aus (Alle meine Gleitschirme haben Namen und wenn ich Lust und Langeweile habe, schreib ich noch eine Seite über meine Flugausrüstung…)

    Jetzt aber weht der Wind mit reichlich 20km/h aber leider auch wieder relativ schräg zur Düne. Fliegen wird grenzwertig sein, aber zunächst kann ich mir noch eine Stunde mit Groundhandling die Zeit vertreiben und lass mich von Sissy über den Strand ziehen.

    Um 15 Uhr geht für mich der Luftraum auf, um 15:01 bin ich auf dem Runway

    und 10 Sekunden später in der Luft: der erste Flug meines Micro Adventure ‘Ride ‘n Fly in Denmark”. Yipiiiieee

  • Tag 6 – das erste Ziel ist erreicht

    Ich gönne mir eine kurze Etappe, denn der Wind bläst mir immer noch mit guten 5 Windstärken frontal auf die Nase. Und außerdem liegt ein guter Spot zum Gleitschirmfliegen in kurzer Distanz: das Ziel lautet Vejers Strand. Nach ca 360 km Fahrtstrecke hat die Schubkarotte die Dünenlandschaft Westjütlands erreicht – hier wollte ich hin, die Dünen, den Strand, die See genießen.

    Da ich schon mittags ankomme habe ich einen ruhigen Nachmittag mit ausgedehntem Strandspaziergang vor mir. Auch wenn die Dünen links und rechts bis zum Horizont reichen – fliegen werde ich heute nicht.

    De wind is je vriend, wie meine niederländischen Küstenfliegerfreunde sagen: Der Wind ist dein Freund, aber eben nur wenn er aus der richtigen Richtung kommt. Ich wünsche mir den Wind schön auflandig, direkt von der See kommend, so dass sich ein schön breites Aufwindband an den Dünen ergibt. Den Gefallen tut er mir nicht. Es weht, und zwar kräftig, aber leider viel zu schräg auf die Düne.

    So wird das heute Nix. Nicht ‘ mal zum Groundhandling – spielerisches Training der Schirmbeherrschung am Boden – packe ich meine Ausrüstung aus. Selbst dafür ist mir der Wind mit über 30 km/h in Böen über 40 zu stark.

    Für die nächsten beiden Nächte hab ich mich im Veijers Strandcamping eingebucht. Schon schön, so ne warme Dusche! Zelte sieht man keine mehr, dafür ziemlich viele Campervan und Riesenwohnmobile mit deutschem Kennzeichen. Für meine bescheidene Hütte habe ich eine hübsche windgeschützte Kuhle gefunden, in der es sich gut entspannen und ruhen lässt.

  • Auf alten Handelswegen durch Jütland

    Das war eine kalte Nacht 🥶. Der angekündigte Nordwind hat Frost ins Land gebracht und ich bin froh, dass ich meinen warmen Daunenschlafsack eingepackt habe. Der hat mich Frostbeule kuschelig warm gehalten – aber kälter werden braucht’s nicht.

    Was gibt’s Schöneres als nach so einer Nacht die ersten warmen Sonnenstrahlen zu spüren und das Fauchen des Gaskochers zu hören.

    Mein Weg führt mich nun weiter Richtung Westküste entlang der Niederungen und kleinen Flüsschen, die den hügeligen Osten Jütlands zur Nordsee hin entwässern. Entlang dieser Niederungen führten alte Handelsstraßen von der Gegend um Ribe, der ältesten Stadt Dänemarks, nach Haderslev. In Gram mussten die Händler den Fluss überqueren – und dafür natürlich Zölle entrichten. Ein einträgliches Geschäft, und so steht bis heute eines der prachtvollsten Gebäude Südjütlands in Gram.

    Schloss Gram

    Punkt 12 Uhr Mittags komme ich in Hjortlund an – reiner Zufall war das, denn ich wollte schon seit rund einer Stunde Pause machen, hab aber in der dünn besiedelten Agrarlandschaft kein einladendes und windgeschütztes Plätzchen gefunden. Da kam die Kirche in Hjortlund gerade recht.

    Ich wunderte mich, warum die Glocken überhaupt nicht aufhörten zu läuten. Ca 20 min nach 12 kam eine völlig verschwitzte Frau in Arbeitsklamotten aus der Kirche und erzählte mir, dass der dänische König verfügt hatte, dass am 5. Mai 12 Uhr Mittags alle Kirchenglocken für 15 Minuten läuten sollten zum 80. Jahrestag der Befreiung Dänemarks und Europas. Selbstverständlich werden die Glocken in Hjortlund Kirke noch mit Muskelkraft geläutet – die nette Dänin hat sich ihr Mittagessen auf jeden Fall verdient 💪

    Für mich geht’s weiter Richtung Esbjerg – der Wind hat mächtig aufgefrischt auf 5 bis 6 Windstärken und auf Nordwest gedreht. Jetzt gibt’s richtig was auf die Nase und meine Durchschnittsgeschwindigkeit geht in den Keller auf unter 18 km/h. Egal, ich hab ja Zeit, und in Esbjerg gibt’s zur Belohnung Lekkerli.

    Ca 15 km nördlich von Esbjerg finde ich einen idyllischen Shelterplatz – tip top gepflegt. Wieder bin ich völlig alleine hier, lass all meine Sachen im Shelter zurück und brech nach dem Abendessen noch ‘mal auf für einen Ausflug an’s Wattenmeer.

    Wilde Küstenlandschaft an der Ho Bugt im Nationalpark Wattenmeer
  • Velkommen til Danmark

    Von Flensburg bis zur dänischen Grenze ist es nur ein Katzensprung. In Begleitung von Monika, die mir den schönsten Radweg entlang der Förde nach Krusau zeigt, überquere ich am 4. Mai die Grenze nach Dänemark. Die Häuser sind großteils beflaggt – es ist Gedenktag in Dänemark: Am 4. Mai wird der Befreiung von Nazi-Deutschland gedacht.

    Monika begleitet mich bis Abenraa, wo sich unsere Wege trennen. Ich schlender noch ein wenig durch die Gassen der Stadt bevor ich weiter rolle.

    Einkaufsstraße in Abenraa

    Wohin geht die Reise nun? In Flensburg wollte ich nach Plan die Großwetterlage checken und entscheiden, ob ich an die Westküste radel und dort auf schöne Flüge an den endlosen Dünen setze oder ob ich an der Ostküste bleib und versuche, bei Ostwind dort in die Luft zu gehen. Aber das Wetter macht es mir schwer. Über den britischen Inseln hat sich ein fettes Hochdruckgebiet eingenistet, auf dessen Ostseite ein munterer Nordwind für mehrere Tage kalte Luft nach Jütland blasen wird. NORDWIND!!! Für diese Wetterlage gibt es für mich mit meinem beschränkten Aktionsradius kein erreichbares Fluggebiet. Ich entscheide trotzdem Richtung Nordsee zu strampeln um von dort dann weiter nach Norden zu rollen Richtung Limfjord, wo es etwas mehr Optionen für unterschiedliche Windrichtungen gibt.

    In der Mitte Südjütlands finde ich am Rande des Dorfes Bevtoft einen vom Bürgerverein liebevoll errichtet und gepflegten Rastplatz mit Grillhütte und Shelter.

    Trinkwasser und Klööchen gibt’s beim Friedhof nebenan. Alles da für einen entspannten Aufenthalt. Zum Abend hin wird das Wetter zunehmend besser und ich kann die schöne Abendstimmung genießen.

    Abendessen ist Festessen heute: Reis mit Zucchini und Hackfleisch. Paul und Monika haben zu Hause eine Hightech-Maschine stehen, mit der sie allerlei Lebensmittel gefriertrocknen – unter anderem gibt es eine feine Auswahl an Fertigmahlzeiten, von denen ich mir etwas aussuchen und mitnehmen durfte. Packungsinhalt in heißes Wasser geben, fleißig rühren und noch ein wenig weiterköcheln – fertig ist das leckere Abendessen. Danke Paul – coole Sache👍