Flug in den Sonnenuntergang bei Hanstholm (DK). Foto: Ehrhard Wende

Blog

  • Der Plan geht auf – aber anders als geplant

    Dienstag, 10. Juni 2025

    Nach dem gestrigen grossen Sprung nach Nørre Lyngby darf ich heute ausschlafen – ich verpasse Nichts, der Himmel liegt schwermütig grau über Nordjütland und immer wieder zieht Regen langsam aus Süden daher. Es ist beinahe windstill – ich befinde mich im Zentrum eines Tiefdruckgebiets, das nur langsam nach Nordosten abzieht.

    Der Shelter in Nørre Lyngby ist ein Geschenk bei diesem Wetter, bietet er doch deutlich mehr Bewegungsfreiheit als mein Zelt und ich kann gefahrlos meinen Gaskocher anheizen, was ich im Zelt aufgrund der Brandgefahr nur sehr sehr ungern mache.

    Bis zum späten Nachmittag geschieht Nichts Spannendes: Rumgammeln an einem Regenwettertag. Es bleibt Zeit, den undichten Schlauch des Vorderrades zu reparieren, damit ich wieder einen Ersatzschlauch einsatzbereit habe. Interessanterweise ist nur das Ventil defekt – das gab es lange nicht! Mittags schlüpf ich in die Regenklamotten und mache mich auf Erkundungstour: die Startplätze im Fluggebiet Løkken – Nørre Lyngby müssen noch erkundet werden, schließlich will ich morgen hier gerne fliegen… So zumindest der Plan!

    Bis jetzt war es hier in Jütland beschaulich ruhig, aber so langsam fährt die Tourismussaison hoch und selbst an einem regnerischen Tag herrscht in Løkken schon ein wenig Betrieb.

    Die Anzahl und Größe der Bars, Restaurants und Cafés lässt aber vermuten, dass hier zu Hochsaison die Post richtig abgeht.

    Ich verkriech mich nach meinem Ausflug wieder in meinem Shelter und richte mich auf eine Lesestunde ein. Aber… Irgendwas ist plötzliche anders: Windgeräusche werden hörbar, ein heller Widerschein im gleichförmigen Himmelsgrau leuchtet auf. Es wird doch nicht….? Zur Sicherheit kletter ich aus meiner Behausung und checke die Lage. Es regnet noch immer aber tatsächlich zeigen sich im Westen erste Wolkenlücken und es weht ein munteres Lüftchen aus Nordwest. HAMMER!!! Das war so nicht vorhergesagt….

    In Windeseile mach ich mich flugfertig und klopf mir selber auf die Schulter, dass ich Nachmittags in Løkken der Verløkkung widerstanden und nicht schon mal ein Bierchen gezischt habe – sonst wäre es das nämlich gewesen mit Fliegen. Don’t drink and fly!

    Von meinem strategisch perfekt gelegen Shelter bin ich in 5 Minuten am Startplatz oben auf der Klippe von Nørre Lyngby. Dort bläst der Wind schön gleichmäßig mit ausreichender Geschwindigkeit auf die Steilküste. Es kann losgehen! Ich zieh Sissy auf und als der Schirm über mir steht wird sofort klar: die will fliegen. Der hier fast senkrechte Abbruch der Steilküste erzeugt ein starkes Aufwindband, das mich mühelos in die Höhe und über den Abbruch hinaus trägt. Wow – dass dieser Tag so enden wird, war mal wieder nicht abzusehen. Ich erfliege zunächst im Umfeld des Startplatzes die Küste, um zu lernen, wie die Wind- und Flugbedingungen an diesem Hang so sind und als ich genügend Sicherheit spüre mache ich mich auf zum Leuchtturm von Rubjerg Knude, der bereits in der Ferne zu sehen ist.

    Zunächst war ich tatsächlich etwas angespannt, denn diese Bedingungen waren nicht vorhergesagt – was wenn der Wind plötzlich doch einschläft? Ok, der Strand ist fast überall breit genug zum Landen – gefährlich ist die Flugreise zum Rubjerg Knude Fyr also nicht. Im schlimmsten Fall ist eben ein 6 bis 7 km langer Fußmarsch fällig – nicht schön, aber akzeptabel 😀. Doch dazu kommt es nicht.

    Bei traumhaften Bedingungen hänge ich fast 2 1/2 Stunden über der Steilküste zwischen Lønstrup und Løkken.

    Die Stunde vor Sonnenuntergang ist meine Lieblingszeit an der Küste: warmes, schräg einfallendes Licht taucht die Landschaft in ganz besonders kräftige Farben. Und der Himmel gehört mir alleine um diese Zeit. Dass Sissy nach der Landung von der hohen Luftfeuchte klatschnass im Packsack verschwinden muss nehm ich gern in Kauf… Morgen früh scheint dir Sonne wieder und trocknet meinen Flügel!

    Die Schubkarotte wartet die ganze Zeit auf mich am Strand und bringt mich nach dem Flugerlebnis schnell nach Hause

    Egal was morgen ist: mein Plan, diese wunderschöne Steilküste mit dem Gleitschirm zu befliegen ist aufgegangen, wenn auch ein Tag früher als eigentlich geplant 😄

  • Wenn Lastenräder fliegen wollen

    Was ist die richtige Übersetzung für mein Lastenrad? Diese Frage hat mich eine ganze Zeit beschäftigt. Im Ergebnis habe ich eine Ritzelkombination, die den Geschwindigkeitsbereich von Schrittgeschwindigkeit bis ca 35 km/h abdeckt.

    Bislang war ich mit dieser Lösung top zufrieden. Heute weiß ich: das reicht nicht! Wenn der Sturm über ‘m Skagerrak Anlauf nimmt und man auch noch in die richtige Richtung fährt, dann will auch ein mit über 30 kg beladenes Lastenrad Fliegen lernen.


    Reisegeschwindigkeiten über 30 km/h sind kein Problem – gebremst werde ich nur durch

    • Die Wegoberfläche – der Küstenradweg führt überwiegend über unbefestigte Sand- und Kieswege. Da wird die Fahrt ab ca 25 km/h ganz schön ruppig
    • Die Übersetzung meines Rades
    • Eine Reifenpanne

    Nach den zähen Gegenwindkilometern im Mai nutze ich die günstigen Windbedingungen und das sonnige Wetter für einen großen Sprung Richtung Nordosten. Da der Wind für meine Gleitschirmaktivitäten viel zu heftig bläst, lasse ich einige attraktive Fluggelände in Fahrtrichtung links liegen – denn ich habe einen Plan: der morgige Dienstag soll trüb und regnerisch werden, weder Flug- noch Fahrradwetter. Am besten Pausentag! Aber der Mittwoch sieht vielversprechend aus: Sonne pur und Wind aus Nordwest. Da will ich gerne in Løkken sein. Das ist DER bekannte Gleitschirmspot in Dänemark! Jean Baptiste Chandelier hat hier den unter GleitschirmfliegerInnen fast schon legendären Clip “Light line” aufgenommen. https://youtu.be/CjxkXNC31Z4?feature=shared

    Eigentlich bin ich eher auf der Suche nach den ruhigen Ecken, aber Løkken will ich schon gerne sehen und nach Möglichkeit befliegen. Daher möchte ich an diesem schönen Pfingstmontag von Hanstholm soweit wie möglich Richtung Løkken radeln – immer entlang der Westküste auf dem Radweg Nr 1.

    Täglich gehen die Fischer von Torup Strand auf Fangfahrt im Skagerrak

    Nach einem leckeren Mittagessen (gebratenes Schollenfilet mit Kartoffeln) im Torupstrand Fiskehus geht die Reise weiter Richtung Blokhus. Ich freu mich schon auf Kaffee und Kuchen, kann den Kaffee schon fast riechen, als meine Fahrt durch ein unfreundliches Pffffff gebremst wird. Reifenpanne am Vorderrad! Vorerst nix mit Kaffee, dafür kurze Bastelei.

    Zum Glück hab ich Ersatzschläuche dabei, so dass die Fahrt nach wenigen Minuten weitergehen kann. Kaffee gibt’s dann doch noch.

    Nach knapp 120 km Tagesetappe erreich ich Nørre Lyngby und kann einen ersten Blick auf die rund 10 km lange Steilküste bei Løkken werfen.

    Wäre schon cool, wenn ich in den nächsten Tagen hier ‘mal entlang schweben könnte…. Man darf ja wohl träumen…

  • The Show must go on

    Sonntag 8. Juni – nach knapp 3 Wochen Unterbrechung bin ich nachmittags zurück in Hanstholm und ich freu mich auf die Fortsetzung meiner Reise entlang Jütlands Küsten.


    Die Schubkarotte, mein orangefarbenes Iumentum Lastenrad, das mich im Mai bis hier hoch getragen hatte, wartet schon auf mich. Wie vereinbart lagerte das supernette Personal vom Hanstholm Camping das Rad samt Ausrüstung warm und trocken für mich ein und alles ist direkt bereit für die Weiterreise. Da es aber bereits 5 Uhr Nachmittags ist verzichte ich darauf, mich direkt auf den Weg zu machen, auch wenn der Wind sehr günstig steht und mit kräftigem Rückenwind noch leicht ein paar Kilometerchen zu machen wären.

    Stürmischer Westwind empfängt mich an der Küste


    Aber Proviant bunkern für die nächste Etappe muss auch noch erledigt werden und ich darf dieses Thema nicht vernachlässigen: auf meinem ersten Teil der Reise hab ich ca 5 kg abgenommen – und ich war schon zuvor nicht übergewichtig! Die ständige Bewegung und das Anheizen gegen die kühle Umgebung hat den Brennstoffbedarf ordentlich angehoben.

    Im Windschutz einiger Bäume steht das Nachtlager. Für die Nacht sind Sturmböen über 80 km/h vorhergesagt
  • Ganz schön vermessen

    Was ist denn schon ein Reiseblog ohne Karte? Et voila – hier ist sie: der Prototyp von Schubkarottes Geoportal ist live!

  • Geschenke für mich am Tag 19

    Ich will zurück nach Hamburg um meine Frau zu unterstützen – soviel ist klar. Wichtig ist mir aber auch, dass es nur eine Unterbrechung meiner Reise und nicht deren Ende sein wird. Daher wird es nur mit leichtem Gepäck nach Hause gehen – die Schubkarotte mit meiner Flug- und Campingausrüstung soll irgendwo im Norden Dänemarks untergestellt werden und auf mich warten.

    Mein Plan ist, in den nächsten 1,5 Tagen die gut 100 km nach Aalborg zu radeln, dort irgendwo eine Unterstellmöglichkeit für mein Bike zu finden und mit der Bahn nach Hamburg zu reisen. Aber bevor ich mich heute Mittag auf den Weg mache, möchte ich einen letzten Flug im Morgenlicht in dem mittlerweile gut bekannten Flugrevier in Hamborg/Hanstholm machen.

    Die Wind- und Wettervorhersage ist bis zum Mittag wie geschaffen für dieses Vorhaben. Ich darf mit strahlendem Sonnenschein und sehr ruhigen Flugbedingungen bei kaum böigen Bodenwind zwischen 20 und 25 km/h rechnen. Kurz nach 8 Uhr breite ich die Flügel aus. Das Meer glitzert golden in der Morgensonne und der Wind bläst so gleichmäßig, dass ich mich in meinem Gurtzeug fühle wie in einem am Boden festgeschraubten gemütlichen Sessel. Was für ein Geschenk zum Abschied!

    Wenig später gesellt sich Carsten zu mir und nach und nach folgen weitere Pilotinnen und Piloten, die auch diese traumhaften Bedingungen genießen wollen.

    Sissy trägt mich an diesem Tag in bisher an dieser Kante unerreichte (oder unerwünschte) Höhen. In maximal 145 m über dem Meerespiegel, ziemlich genau 100 m über dem Startplatz, tummeln sich keine anderen Pilotinnen und es ist genügend Platz für Spielereien. Mit dieser Höhe und bei diesen ruhigen Windbedingungen kann ich gefahrlos gegen den Wind über das Meer hinaus fliegen und mich in mehreren Vollkreisen zur Hangkante zurücktragen lassen.

    In 144 m Höhe hänge ich sehr gemütlich über dem Nordseestrand

    Endlos könnte ich dieses Spiel treiben und in der Luft herum hängen. Ich habe aber noch anderes vor heute und geh Landen. Die Schubkarotte steht schon fertig gepackt auf dem Campingplatz, bis spätestens 11 Uhr muss ich auschecken. Aus einer Laune heraus frage ich an der Rezeption, ob sie auf dem Gelände die Möglichkeit hätten, mein Fahrrad mit Gepäck für 2 bis 3 Wochen geschützt unterzustellen. Und siehe da, nach etwas Diskussion um Haftung etc findet sich ein Weg. Der supernette Eigner des Platzes versteht meine Situation und macht möglich, was ich mir wünsche: Er sagt mir zu, mein Fahrrad einzulagern. Noch ein Geschenk zum Montagmorgen! Ich beschließe, heute noch auf dem Platz zu bleiben, mich um den Rückweg von Hamborg nach Hamburg zu kümmern und ansonsten noch den wunderschönen Tag an der Küste zu genießen.

    Und es kommt noch besser: Ich erzähle Carsten von meinem Plan worauf er sagte, dass er am morgigen Dienstag ohnehin mit seinem Camper über Hamburg in die Mitte Deutschlands fahren möchte. Ich könne gerne mit ihm mitfahren. Allerdings wird er sich noch das Fluggelände am Bovbjerg Fyr anschauen und dort nach Möglichkeit auch noch einen Flug machen wollen. Da ich das Gelände und weitere Flugmöglichkeiten in der Umgebung ja bereits kenne, werden wir uns schnell einig: Ich werde mit ihm mitfahren und auf dem Weg zeige ich ihm die Startplätze an der Westküste Jütlands. So hat sich meine Rückfahrt nach Hamburg also auch schon geklärt! Das dritte Geschenk heute früh.

    Ich habe jetzt Zeit und Ruhe. Zum Fliegen ist der Wind mittlerweile zu schwach, aber für ein wenig Groundhandling weht es noch ausreichend und so trainiere ich noch etwas mein Schirmgefühl am Boden.

    Der macht Nichts – der will nur spielen

    Zum Abend setze ich mich noch ‘mal auf die Schubkarotte und mach eine kleine Radtour rund um Hanstholm. Ich möchte für mich einen schönen Abschluss dieser ersten Phase meiner Reise finden – dazu gehört einfach eine Fahrt auf meinem Rad, das mich hierher gebracht hat. Und ebenso gehört dazu ein Abendessen in passendem schlichten Ambiente: Im Hafen von Hanstholm bestell ich mir im “Færgegrillen” Fischfilet mit Pommes und Salat, dazu ein grosses kühles Tuborg.

    Dem Fischgericht im “Færgegrillen” ist es anzumerken, dass hier in Hanstholm grosse Mengen an wirklich frischem Fisch angelandet werden. Die Qualität ist ausgezeichnet. Lecker!

    Ja, das ist ein Moment des Abschieds – aber ich bin guter Dinge, dass ich in 2 bis 3 Wochen mein Abenteuer genau an dieser Stelle wieder aufnehmen kann.

  • Der turbulente Tag 18

    … ein lang geratener Tagebucheintrag mit etwas Flugpraxis für die Luftsportler im Mittelteil und am Schluss dann der Grund, warum ich meine Reisepläne ändere!

    Für Sonntag den 18. Mai ist wieder kräftiger Nordostwind vorhergesagt – die Windrichtung ist im Prinzip super für einen Flug in Hamborg. Allerdings, wie die Tage zuvor auch schon, sollte es nur morgens nach Sonnenaufgang und abends vor Sonnenuntergang fliegbare Bedingungen geben. Dazwischen wird es zu kräftig wehen für mich und meine Sissy.

    Mein Wecker steht also auf 6 Uhr! Das kleine Zeitfenster am Morgen will ich nicht ungenutzt lassen. Kaffee zum Aufwachen, kleines Frühstück und auf geht’s zum Strand.

    Schon auf dem Weg dahin wird mir schnell klar – mit Fliegen wird das Nichts. Vorne am Abbruch, wo das Hochplateau aus Kalkstein zum Strand hin abfällt und diese wunderbare Kante formt, weht mit der Nordost die letzten Locken im Haar glatt. Also runter an den Strand – im geschützten Bereich vor dem Abhang möchte ich wenigstens etwas Frühgymnastik machen, Power-Groundhandling mit meinem Schirm. Immer wieder hebt es mich in in Böen vom Boden ab und ich muss Druck aus der Kappe nehmen und ihr mit dem Wind in Richtung des aufstrebenden Abhangs hinterherlaufen. Da genau will ich nicht hin, denn irgendwo dort wird plötzlich die Aufwindkomponente zu stark und aus der Turnerei am Boden wird ein Flug…. Nein Danke, nicht bei diesen Bedingungen!

    Nur mühsam geht es gegen den Wind zurück Richtung Wasser – Sissy zieht und zerrt ziemlich kraftvoll an mir – und nach einer knappen halben Stunde geht mir die Kraft aus. Zeit für eine Pause in der wunderschönen Morgenstimmung am Meer.

    Den Rest des Tages darf ich mal etwas tun, was ich länger nicht hatte: richtig schön faul sein! Im Windschutz in der Sonne sitzen, lesen, genießen… die Ausrüstung überprüfen sowie der Schubkarotte eine Reinigung und Inspektion gönnen.

    Zum Mittagessen wird im Freestyle Modus Spargelrisotto gebrutzelt – gar nicht so einfach in einer Pfanne, deren Boden so gewölbt ist, dass er nur in der Mitte auf einem Hauch von Nix auf der Herdplatte aufliegt. Lecker ist es trotzdem!

    Der Plan für die nächsten Tage

    Ab Mitte der Woche wird sich die Großwetterlage ändern und ich werde es mit einem Tiefdruckgebiet über Südskandinavien zu tun bekommen. Ich will den vorhergesagten Westwind am Montagnachmittag und Dienstag nutzen um weiter nach Nordosten Richtung Løkken – einem sehr bekannten und viel beflogenen Gebiet – zu radeln.

    Doch zunächst bin ich ja noch hier bei Hanstholm und gegen Abend will ich es dann doch noch ‘mal mit der Fliegerei probieren, allerdings mit gedämpfter Erwartung, denn die Bedingungen werden nicht einfach sein.

    Kleines Special für die Gleitschirmflieger unter euch

    Ein Blick auf die Windvorhersage zeigt, dass am späten Nachmittag der Wind am Boden zwar nachlassen wird, in den etwas höheren Luftschichten die Luftströmung aber wesentlich stärker und etwas mehr aus Richtung Osten kommt.

    Vorhersage für den Wind an der Erdoberfläche für Sonntag 18.5. 17:00 Uhr. 23 km/h aus Nordost – das sieht schon sehr gut aus!
    … Und der Wind in 600 m Höhe über dem Meer. Dort herrschen Windgeschwindigkeiten über 50 km/h. Irgendwo zwischen dem Boden und dieser Höhe wird es sehr ruppig zugehen in der bodennahen Atmosphäre.

    Das sind die perfekten Zutaten für sehr böige und turbulente Windverhältnisse! – Wenn es überhaupt fliegt, wird es alles andere als ruhig sein in der Luft. Für diese Analysen nutze ich übrigens windy.com und sehe mir auch die unterschiedlichen dort verfügbaren Wettermodelle an.

    Ich passe also den Flugplan an meine Einschätzung an:

    • Auf keinen Fall zu weit in die Höhe über das Geländeniveau tragen lassen – dort oben wird der Wind stark zunehmen und ich muss durch Windscherung mit ziemlich turbulenten Verhältnissen rechnen.
    • Gleichzeitig auch nicht zu dicht über dem Gelände fliegen, damit ich genügend Platz nach unten habe und mir Zeit bleibt zu reagieren, wenn ich in etwas unruhige Luft komme.

    Noch vor 6 Uhr Abends starte ich über die Klippe hinaus in den Abendhimmel. Die Bedingungen sind zunächst wie erwartet etwas ruppig und Sissy arbeitet merklich in der turbulenten Luft. Und ich erlebe etwas, was ich in vielen vielen Flugstunden im laminaren Seewind an der Küste noch nicht ansatzweise so erlebt habe: Meine Sissy will tatsächlich kurzzeitig einen einseitigen Klapper fabrizieren – einen Flugzustand, in dem die Vorderkante des Flügels so ungünstig angeströmt wird, dass sie nach unten weg klappt. Das gilt es im Ansatz zu verhindern, insbesondere wenn man nicht viel Luft unter sich hat, denn das kann schnell ein dickes Aua geben. Meine Fliegerbekanntschaft Carsten hat mich zufällig in diesem Moment gefilmt, so dass das Ereignis als Bildmaterial zur Verfügung steht. Die Bildqualität ist zwar nur mäßig aber die Deformation des Schirms über mir ist trotzdem gut zu erkennen.

    Ansätze eines einseitigen Klappers beim unbeschleunigten Flug in turbulenten Bedingungen im auflandigen Wind

    Dieser Schnalzer in meiner Tragfläche war jetzt kein spektakuläres oder besonders gefährliches Ereignis und dennoch setze ich für mich hinter diese neue Erfahrung ein dickes Ausrufezeichen: Auch an der Küste können bei starken Windgradienten durchaus so starke Turbulenzen auftreten, dass es zu Störungen an meinem Gleitschirm kommen kann!!! Wie gut, dass mein Advance Sigma 9 trotz seiner Einstufung als C-Schirm bei Klappern im unbeschleunigten Flug recht unspektakulär reagiert. Nur wenig später zerlegt es den Schirm eines etwas mutigeren Piloten, der sich auf eine Flughöhe ca 100 m über mir wagt, komplett auf einer Seite. Zum Glück scheint es ein sehr erfahrener Pilot zu sein, der die Störung schnell in den Griff bekommt und seinen Flug fortsetzen kann.

    Mit sinkendem Sonnenstand wird die Luft zunehmend ruhiger und wir können entspannte Airtime auch in luftigeren Höhen genießen.

    Der etwas turbulente Ausklang des Abends bringt eine Planänderung

    Schon an Nachmittag erreicht mich eine Kurznachricht von meiner lieben Frau Birgit: “Können wir heute Abend telefonieren?”

    Ich kenn sie lange genug um zu wissen, dass zu Hause etwas vorgefallen sein muss. Und so ist es leider auch. Als wir Abends telefonieren erfahre ich, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter verschlechtert hat und sie im Krankenhaus aufgenommen werden musste. Sehr schnell haben wir gemeinsam entschieden, dass ich meine Reise unterbrechen und zurück nach Hamburg kommen werde.

    “Leben ist das was passiert, während man gerade dabei ist andere Pläne zu machen”

    So geht für mich dieser Tag zu Ende mit ersten Gedanken dazu, wie ich die Unterbrechung meines Abenteuers organisiere und wie die Rückreise nach Hamburg erfolgen könnte. Seit Beginn meiner Reise ist dies die erste Nacht, in der ich nicht gut schlafe.

  • Tag 17 beginnt und endet mit Unerwartetem

    Morgens im Bad bei der Morgentoilette, ich bin noch immer auf dem Campingplatz in Hamborg, in einem Augenblick der inneren Einkehr spür ich ein ungewohntes Jucken am linken Handgelenk, ungefähr da, wo das Armband meiner Uhr verläuft. Ein kleiner dunkler Fleck sitzt auf meiner Haut, nicht fest und unbeweglich, aber doch unverrückbar und auch nicht abwischbar! Es wird doch nicht….doch es ist: ich reise nicht mehr alleine.

    Eine Zecke hat sich als blinder Passagier eingeschlichen, manche sagen sie sei das gefährlichste Tier Dänemarks. Mit der Pinzette entferne ich das kleine Tierchen vorsichtig und begutachte das Ergebnis: das kleine Monster hat losgelassen und sich mit Kopf entfernen lassen. Die Stelle des Bisses wird desinfiziert und vorsichtshalber werde ich das Ganze in den nächsten Tagen sorgfältig auf Entzündung und Rötung beobachten, aber ich bin zuversichtlich, dass ich das Tier rechtzeitig entdeckt und entfernt hab und somit die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit Borrelien klein sein sollte.

    Da es auch heute wieder wie auch schon die Tage zuvor kräftig windet, geht es frühestens am späten Nachmittag, wenn überhaupt, Fliegen. Ich hab also Zeit und Muße für Hausarbeit, Wäsche waschen, Einkaufen, Lesen.

    Alles was heute nicht dringend gebraucht wird kommt in die Waschmaschine und auf die Leine. Der trockene Nordostwind und die Sonne leisten Trocknungsarbeit in Rekordzeit.

    Anschließend roll ich vom Rückenwind geschoben nach Hanstholm zum Einkaufen. Das Städtchen selbst liegt gut geschützt hinter den Dünen einige hundert Meter von der See entfernt. Funktional und schmucklos trifft es vielleicht ganz gut, eine Kleinstadt, die mit und von der Fischerei lebt. Hanstholm ist Dänemarks grösster Fischereihafen, das Industriegebiet besteht eigentlich ausschließlich aus fischverabeitender Industrie und allen Gewerken, die der Hochseefischfang so nötig hat.

    Blick über den Hanstholmer Hafen

    Ein echtes Schmuckstück ist der Leuchtturm Hanstholm Fyr.

    Am späten Nachmittag wage ich mich dann mit meiner Flugausrüstung an den Startplatz. Es weht immer noch kräftig, Mittelwind ca 30 km/h aber sehr böig mit Spitzenwerten bis 45 km/h, gemessen oben an der Kante des Abhangs, wo sich der Wind über das querstehende Geländehindernis quetschen muss und den Gesetzen der Physik folgend richtig Fahrt aufnimmt. Im ungestört durchströmten Luftraum überm Strand wird es weniger sein.

    Die beiden Flieger Carsten und Sven, die ich gestern hier kennengelernt habe, sind schon seit ca 1,5 Stunde hier und beobachten etwas ernüchtert den Wind und das Wetter. Hier oben wird das Nichts mit Starten und Fliegen, das ist klar. Aber unten am Strand den Schirm aufziehen, vorsichtig ein paar Meter den Hang hochkiten und von da aus Starten, das sollte gehen. Geht auch, aber richtig Spaß bringen tut es nicht: ich achte sehr sehr sorgfältig darauf, dass ich weit vor der Hangkante überm Strand bleibe, um bloß nicht in den starken Aufwind vor der Hangkante zu kommen. Ich will auf gar keinen Fall Höhe machen, um keine Gefahr zu laufen, nach hinten weggeblasen zu werden. Es schult die fliegerischen Fertigkeiten, aber Genussfliegerei ist das nicht! Die gibt’s dann später als Überraschungsmoment doch noch!

    Knapp zwei Stunden lang bis in den Sonnenuntergang hinein dürfen wir als kleine Gruppe von 4…5 PilotInnen magische Momente über der dänischen Küste erleben.

    Mit Sven und Carsten sitze ich noch bis knapp vor Mitternacht zum Klönen vor Svens Camper. Man merkt es jedem von uns an, dass wir sehr berührt sind durch unsere wunderschöne Erfahrung dieses Tages!

  • Der Ruhetag, der dann doch keiner ist

    Nach meinem gestrigen Abendflug und der späten Heimkehr in mein gemütliches Zuhause starte ich entspannt in den Tag.

    Ich will heute nur bis auf den Campingplatz Hamborg bei Hanstholm, Luftlinie 7…8 km, auf dem Radweg durch den Nationalpark sind es aber doch knapp 20 km. Kein Ding, sollte man meinen!

    Sissy hat gestern während des Fluges in den Sonnenuntergang ordentlich Feuchtigkeit aus der Seeluft gesaugt und darf sich in einer windgeschützten Stelle in der Waldlichtung sonnen und trocknen.

    Währenddessen ist Lesestunde angesagt. Mich zieht es icht weg von hier, sonnig und windgeschützt wie es ist. Die Wettervorhersage hat mir für heute 5 Bft, in Böen 7, aus Nordost prophezeit. Wenn ich schaue, wie die kleinen Schönwetterwölkchen über mich jagen und wie der kleine See Nors Sø munter Schaumkronen produzierend brodelt, dann ahne ich, dass es eher stärker als schwächer bläst. Gegen Abend soll der Wind jedoch abflauen. Da muss ich, nein, da will ich für einen genussvollen Flug an der Küste bei Hamborg sein.

    Der Weg dahin ist dann unerwartet kräftezehrend.

    Eigentlich unnötig – ich will es trotzdem wissen, was mir da ins Gesicht bläst

    Volles Rohr weht es mir mit rund 40 km/h entgegen, die Route ist hügeliger als erwartet und ich bewege mich auf dem Radfernweg Nr 2 Hanstholm-Kopenhagen zu 70…80% auf unbefestigten Sand- und Kieswegen. Da rollt das Rad schon schlecht, wenn es eben und windstill ist.

    Wenn dann noch Steigung und Gegenwind dazu kommen, dann geht das an die Kräfte. Und ich gestehe: Zum ersten Mal auf dieser Reise denk ich, wenn dich jemand dazu zwingen würde, hätte er sofort ne Klage am Hals.

    Auf dem Campingplatz angekommen stell ich fest, dass es hier keinen windgeschützten Platz für mein Zelt gibt, auch keinen Aufenthaltsraum und die Stellplätze, die einigermaßen geschützt sind, werden regelmäßig von Staubfahnen der auf den Kieswegen vorbeirollenden Wohnmobile überzogen.

    Das will ich alles nicht, und so gönne ich mir den Luxus , trotz sonnigem Wetter den Schutz in einer der festen Behausungen auf dem Campingplatz zu suchen. Kein preiswertes Vergnügen – aber ich will mich ja nicht quälen😉

    Um 16 Uhr mach ich mich auf zum direkt beim Campingplatz liegenden Startplatz. Oha, da schwebt schon ein Pilot mit einem knallroten Ozone Alpina über der Hangkante. Wenn’s bei dem geht, dann geht’s bei mir auch!

    Noch eben sorgfältig den Startplatz, die Landemöglichkeiten und den Wind checken. Mittlerweile haben sich zwei weitere deutsche Piloten, Karsten und Sven, dazugesellt. Aber leider haben auch diese Beiden keine Erfahrung mit dem Gebiet hier. Macht aber Nichts, die Windstärke nimmt jetzt relativ schnell in den Genussbereich ab, der Startplatz ist eine riesige Wiese ohne Hindernisse, das Fluggebiet ist übersichtlich ohne böse Einschnitte, vorspringende Kanten etc, und für eine Notlandung steht ein kilometerlanger breiter Strand zur Verfügung. Alles safe! Viel Spaß! Luftraum checken, niemand ist in der Nähe, Schirm aufziehen, Kontrollblick in die Kappe, passt. Start!

    Mit der Zeit werden es immer mehr Schirme, die mit mir wie an einer Perlenschnur an der Kante entlang soaren. Diese ist kürzer, als ich erwartet hatte, bietet aber durch ihre Höhe trotzdem ordentlich Flugspaß – ich weiß aber nicht, ob ich zur Hochsaison hier sein möchte, denn mit vielen PilotInnen kann es hier glaub ich auch mal eng im Luftraum werden.

    Nach ca 1 Stunde Airtime ist der Wind soweit abgeflaut, dass ich nicht mehr ohne feinfühliges Steuern oben bleiben kann. Da ich keine Lust habe, nach einer Landung am Strand von da nach oben zu laufen, kämpfe ich mich noch mal ein wenig in die Höhe, schwebe mit 2…3 m Höhe über Grund über die obere Kante des Abhangs und lande sanft auf der flachen Wiese am Start-( und Lande)platz.

    Super cool! Ich freue mich über einen weiteren schönen Tag mit Ride ‘n Fly in Denmark, sinke jedoch nach einem leckeren Sundowner und einer warmen Dusche ziemlich schnell in’s Bett! Jahaaaa, ein richtiges Bett!

  • Tag 15: das Versteck im Wald

    Keine Sorge, heute wird es nicht schon wieder um Gegenwind gehen. Ist ja eh klar, wo das Lüftchen herkommt.

    Vor meinem Nachtquartier frühstücke ich in der Sonne, ich vermeide aber bewusst das Wort genießen, dazu wurde der Kaffee zu schnell kalt. Ich trage die Kleidung vierlagig: auf der Haut ein langärmliges Shirt aus Merinowolle, darüber ein Fleece Shirt, dann die Fleecejacke und zuletzt die Daunenjacke. Und ich kann nicht sagen, dass es mir zur warm war. Die Sonne gibt schon um 8 Uhr früh ihr Bestes, aber nun ja…der Wind!

    Es soll heute weiter nach Norden in die Gegend von Hanstholm gehen. Nicht weit ist das, nur ca 50 Radwegkilometer. Dort möchte ich mich für ein paar Tage auf dem Campingplatz einmieten. In Sichtweite zum Gleitschirmspot Hamborg, der bei Windrichtung zwischen Nord und Nordost gute Flugbedingungen bietet, sollen es ein paar geruhsame Tage werden, wenn der Wind passt geht’s Fliegen, wenn nicht gibt’s Ruhepause und Alternativprogramm. Das ist der Plan!

    Ich radel also weiter auf dem Fernradwanderweg Nr 1 Vestkyststien nach Nordosten. Die Navigation ist einfach, da die Beschilderung vorbildlich ist. GPS und Karte brauch ich nicht zur Hilfe nehmen.

    Der Weg leitet mich landschaftlich super abwechslungsreich durch die aufblühende Wald- und Heidelandschaft.

    Sogar im Grünstreifen zwischen der Straße und dem Radweg blüht es im Überfluss.

    In Norre Vorupør gibt es einen kurzen Zwischenstopp. Hier liegen die Fischerboote noch auf dem Strand und werden mit Seilwinden in’s und aus dem Wasser gezogen.

    Am Strand von Norre Vorupør

    Auch eines der Seenotrettungsboote liegt am Strand. Wenn die Besatzung dieses Bootes rausfährt, dann liegt die See ja normalerweise nicht spiegelglatt wie ein Ententeich da. Sehr mutig, sich auf dem Boot in die schwere Brandung schleppen zu lassen um sich dann durch die Brandungszonen auf die offene See zu kämpfen!

    In Klitmøller kehr ich zur Mittagspause im Café Grill Bar “Cold Hawaii” ein. Der Ort macht heute seinem Namen alle Ehre, der Burger war aber lecker und die Betreiber hatten mangels vieler anderer Gäste Zeit für einen Schnack mit mir. Die sind beide aus Norddeutschland, seit 18 Jahren in Dänemark und schmeißen das Café nun seit 15 Jahren.

    Ich änder hier in Klitmøller meinen Plan. Was soll ich denn bei diesem giftigen Wind auf dem Campingplatz in Hanstholm, schön in der ersten Reihe an der See? Das Wetter bietet schließlich Zweiklassengesellschaft: stehst du im Wind, dann frierst du dir die Nase ab! Im Windschatten und in der Sonne kannst du mit Badehose im Gras liegen. Ich entscheide mich für Badehose, biege nach Osten ab und suche einen Shelter im Waldgebiet zwischen Klitmøller und Hanstholm.

    Gesucht – gefunden: hier kann ich mich wunderbar vor dem kalten Wind verstecken. Schöne Aussicht inklusive! Die ist vom Herzhäuschen sogar am Allerbesten. Die Tür bleibt einfach auf bei diesem Panorama!

    Gegen Abend möchte ich noch mal nach Klitmøller an den Strand. Der Wind soll abends nach Nordwest drehen und vor Sonnenuntergang auch nachlassen.

    Die Dünenlandschaft bei Klitmøller erinnert mich sehr an meine Abende an der holländischen Küste

    Ich nehme vorsichtshalber Sissy mit. Man weiß ja nie, vielleicht ist ja noch ein kurzer Flug zum Sunset drin!

    Der Rest braucht nicht viel Worte. Ich bin zur rechten Zeit am rechten Ort: Eine Stunde im Sonnenuntergang über den Dünen von Klitmøller chillen 😀

    Pünktlich zum Sonnenuntergang schläft der Wind beinah ein und während die Sonne auf dem Horizont aufsetzt verschwindet meine Ausrüstung wieder im Packsack.

    Selbst die Heimfahrt ist ein Genuss. Auf meinem 8 km langen Ritt begegne ich einem Radfahrer und einigen wenigen Autos. Ansonsten Stille und Vogelgezwitscher…

    Abendstimmung über dem Vandet Sø

    Randnotiz

    • 60 km geradelt
    • Das ø entdeckt😀
  • Die Entdeckung der Langsamkeit

    Es ist kaum zu glauben – der Wind ballert schon wieder aus Nordost über’s Land. Ich bin an der Westküste Jütlands, wo sich jeder Baum und jeder Strauch der beständigen Kraft des Westwinds beugt und sich gen Osten neigt, und mir weht es seit Tagen mit wenigen Ausnahmen aus nördlicher Richtung entgegen, gerade so als ob die Vegetation mal wieder in’s Lot gedrückt werden müsste.

    Das fette Hochdruckgebiet hängt noch immer nördlich der britischen Inseln fest, beschert allen Touristen in Dänemark sonniges Wetter, den Bauern Dürre und bläst mir seinen scheinbar uberschöpflichen Luftvorrat im Uhrzeigersinn drehend entgegen. Wann geht diesem aufgeblasenen Ding eigentlich mal die Luft aus? Vorläufig nicht! Noch für voraussichtlich mindestens weitere 7 Tage werde ich es mit nördlichen Winden zu tun haben.
    Ich will deswegen weiter nach Norden, nach Hanstholm, wo ich Chancen hab, auch bei Nordwind mit meiner Tüte abheben zu können.
    Der Weg dahin führt aber leider wieder einmal gegen den Wind. Gute 5 Beaufort Gegenwind erwarten mich auf meiner Etappe von Bovbjerg nach Nordosten. Ich sollte mir besser nicht zu viel vornehmen.

    Wie ich als Radfahrer von meinem Pilotenwissen profitier – und umgekehrt

    Schon auf den ersten Kilometern spür ich die Wucht des Windes. Ich hab hier aber immer wieder Schutz durch Gebäude oder Bewuchs am Straßenrand. Der turbulente Bereich hinter Hindernissen, die vom Wind angeströmt werden, ist ungefähr 10 mal so lang, wie das Hindernis hoch ist. Das eingeschossige Bauernhaus mit Dach hat vielleicht 7…8 m Höhe. Ich darf also in einem Streifen von 70, 80 m Länge mit etwas Schutz vor der vollen Wucht des Windes rechnen. Und tatsächlich – die Wirkung ist verblüffend stark und ich freu mich über alles was da steht und mir einige etwas leichtere Kurbelumdrehungen schenkt.

    So radel ich dem Wind entgegen, suche Hindernisse am Wegesrand und versuche vorherzusagen, wann ich in den turbulenten Bereich im Lee des Hauses, der Sträucher etc einfahre und wie die Wirkung sein wird. Das bringt Abwechslung und schult gleichzeitig meine Sinne dafür, mit was ich rechnen muss, wenn ich mit meinem Gleitschirm mal wieder in der Nähe eines im Wind stehenden Hindernisses landen muss: Erweiterung meiner Pilotenkenntnisse auf dem Fahrrad🚴🪂

    In Thyboron geht’s auf die Fähre über den gleichnamigen Kanal. Da ich bis zur nächsten Abfahrt noch etwas Zeit habe schau ich mir den Fischereihafen und die festgemachten Offshore-Installationsschiffe an.

    Mit dem Verlassen der Fähre auf der Nordseite des Kanals betritt man den Nationalpark Thy. Links und rechts neben mir eine wunderschöne Flachwasserlandschaft mit Inseln, Schilfgürtel, Kanälen und großen offenen Wasserflächen. Allerdings bin ich hier dem Nordostwind schutzlos ausgeliefert.

    Mit über 30 km/h Mittelwind bläst es mir ins Gesicht. Im Schneckentempo kriech ich über die schmale Landzungen zwischen Nordsee und den Fjorden auf der Ostseite

    Da ich aber kein hochgestecktes Ziel habe kann ich beschaulich meinen Weg machen.
    Der nördliche Teil des Nationalparkes ist die größte Dünenheide Europas. Das will ich mir unbedingt ansehen und mache in Lyngby Endstation für heute.

    Einer der zahllosen Seen im Nationalpark Thy.

    Die eindrucksvolle Heidelandschaft bricht mit riesigen Dünenkämmen zur Nordsee hin ab. Fürs Auge ein Genuss, aber auch das Fliegerherz schlägt höher, denn tatsächlich ist auch hier im Nationalpark das Fliegen mit Gleitschirmen an der Küste erlaubt.
    Für mich geht’s aufgrund unpassender Windbedingungen hier jedoch nicht in die Luft.

    Statt dessen verkrümel ich mich in mein Nachtlager im alten Bootshaus der Seenotretter.

    Einfach genial, was die Dänen so an Infrastruktur für anspruchslose (rad)wanderende Naturliebhaber zur Verfügung stellen. Von Benny, einem Freiwilligen aus der Nachbarschaft, der in Zusammenarbeit mit den Naturschutzbehörden das Haus betreut, werde ich sehr herzlich empfangen. Gegen eine kleine Gebühr von 30 Kronen darf ich eine Nacht bleiben – kleine Küche, Strom, fließend Wasser und (kalte) Dusche inbegriffen. Sogar die Schubkarotte durfte mit ins Nachtlager.