Was für ein Glück dass ich bereits gestern Abend einen so wunderschönen Flug in Nørre Lyngby hatte! Heute wird das hier nämlich Nichts. Schon Nachts wurde ich wach von den Windböen, die am Shelter rüttelten und heute früh ballert der Wind mal wieder richtig über den Skagerrak daher!

Im Windschutz des Shelters soll sich Sissy zum Trocknen artig in der Sonne räkeln, aber die 25 m² Stoff denken überhaupt nicht daran, dort liegen zu bleiben sondern flattern bald munter über die Wiese und bilden zusammen mit den über 200 m Leinen ein lustiges Knäuel – nun ja, ich hab ja Zeit, das alles wieder zu sortieren….
Zeit nehme ich mir auch, die Küste nochmal vom Boden aus anzusehen. Die Landschaft hier ist schon sehr dynamisch. In Nørre Lyngby gehen pro Jahr bis zu 1,5 m Küstenlinie an die Nordsee verloren – viele Häuser sind bereits für immer verschwunden und zahlreiche Gebäude stehen schon wieder bedrohlich nahe am Abbruch, wie gestern schön aus der Luft zu sehen war.

Die Kirche wurde bereits vor vielen Jahren sehr weit landeinwärts verlegt, was man mit dem Friedhof nicht so ohne weiteres machen konnte. Das wird nun bei Bedarf erledigt: bei größeren Stürmen mit entsprechenden Küstenabbrüchen werden Teile des Friedhofs durch die See abgetragen. Hinweisschilder am Strand weisen auf die Situation hin und erklären, dass man bitte menschliche Knochen am Strand an Ort und Stelle liegen lassen soll, damit der Bestatter sie einsammeln und am neuen Friedhof wieder zur weiteren Ruhe beisetzen kann. Ein sicheres Endlager sieht anders aus…
Auch der Leuchtturm am Rubjerg Knude drohte im Skagerrak zu versinken, so wie bereits das zugehörigen Haus des Leuchtturmwärters samt Betriebsgebäude. Aber das Wahrzeichen Nordjütlands sollte erhalten werden, und so wurde im Jahr 2019 der komplette Leuchtturm auf Schienen gesetzt und 70 m weiter landeinwärts verschoben.

Da steht er nun – wie lange wohl, frag ich mich.
Und die Landschaft um den Leuchtturm gibt noch ein anderes Beispiel für die Dynamik, mit der sich die Erdoberfläche verändert.

Rubjerg Knude ist umgeben von einer riesigen Wanderdüne und bei dem heutigen starken Wind kann man der Düne beim Wandern landeinwärts zusehen.

Der Wind als Baumeister der Düne weht hier oben sehr beständig – und häufig aus der gleichen Richtung:

Auf der Schubkarotte geht’s nun weiter nordwärts Richtung Hirtshals.

Der Küstenradweg führt auf kleinen Nebenstrassen durch eine idyllische Landschaft, die teilweise schon mittelgebirgsähnlichen Charakter hat mit Hügeln, geschwungenen Wegen und grasenden Kühen.


Hirtshals! Hafenstadt und Fähranleger für die Überfahrt nach Norwegen. Ich realisiere dass ich eigentlich nur noch einen Katzensprung – ca 3 Tagesetappen – von meinen ehemaligen Kollegen in Stavanger entfernt bin. Aber ich entscheide mich, in Dänemark zu bleiben. Man braucht ja noch Ziele für eine nächste Reise.
Der Wind beginnt langsam abzunehmen, immer noch zu viel für einen Flug mit meinem Gleitschirmen an den Dünen von Hirtshals, aber im Windschutz von Gebäuden kann man es an diesem sonnigen Tag schon sehr gut aushalten: Zeit für ein gemütliches Mittagessen am Hafen.
Auf der Kaimauer haben wir vor 35 Jahren auf meiner ersten Dänemark- Radtour schon einmal gesessen und Krabben gepult. Heute soll’s etwas zivilisierter zugehen und ich besuche das Fischhaus.

Der Möwenindikator
Am späten Nachmittag habe ich den Eindruck, dass der Wind nun spürbar nachgelassen hat und ich beschliesse, noch zum Startplatz auf den Dünen bei Hirtshals zu radeln.
Eigentlich brauche ich zur Abschätzung der Windgeschwindigkeit keinen Windmesser: meist sind Möwen in der Luft, die ein recht verlässlicher Anzeiger für die Flugbedingungen sind:
- Fliegen die Möwen längs der Küste und benötigen Flügelschläge, um die Höhe zu halten, dann weht der Wind für meinen Gleitschirm zu schwach
- Gleiten die Vögel mit voll ausgebreiteten Schwingen mühelos an der Kante entlang, sind die Bedingungen auch für uns Küstenflieger top
- Fangen sie an, die Tragfläche durch einknicken der Flügel zu verringern, ist Vorsicht angebracht – es weht schon recht stark für einen Standard-Gleitschirm
- Fliegen die Möwen mit deutlich angewinkelten Flügeln, bleibe ich am Boden. Dann weht es mit reichlich über 30 km/h
Heute Nachmittag ist oben auf der Düne von Hirtshals laut Möwenindikator ein “Vorsicht – Tag”. Ich lege Sissy trotzdem aus und wage einen Startversuch. Der Schirm kommt überraschend schnell hoch – bammm, fängt eine Böe ein und hebelt mich direkt von den Füßen und ca 2 bis 3 m in die Höhe. Zum Glück hab ich solche Situationen am Strand von Den Haag stundenlang geübt und weiß was zu tun ist: Über kontrollierten Zug an der hinteren Leinenebene kann ich Sissy das Fliegen wieder abgewöhnen und den Schirm sicher auf dem Boden ablegen – aber immerhin hat es mich bereits ca 10 bis 15 m nach hinten weggeblasen🌬️
Die Möwen lügen nicht: Vorsicht ist angesagt!!! Ich hätte den Startversuch hier auch nie unternommen, wenn der Startplatz nicht eine große hindernisfrei Grasfläche gewesen wäre. Hier kann auch bei so einem kontrollierten Fehlstart nicht viel passieren. In unebenen Gelände oder wenn Hindernisse im Lee stehen sollte man allerdings solche Spielereien besser bleiben lassen – zumal es hier unten am Strand auch noch andere Startmöglichkeiten gibt.
Mit viel Respekt vor den kräftigen Böen packe ich mein Bündel und marschiere runter an den Strand. Dort ist der Wind spürbar schwächer und ermöglicht einen mühelos Start. Ich bleibe aber zunächst weit vor der Düne und nicht zu hoch überm Strand, um nicht in den Einfluss des stärkeren Windes über der Düne zu geraten.

Langsam taste ich mich näher an das Aufwindband nahe der Düne heran, denn der Wind wird zunehmend gleichmäßiger und schwächer.
Knapp 2 Stunden spiele ich hier herum und fliege auch hinüber zum Leuchtturm von Hirtshals.

Wahrscheinlich würde das heute wieder bis zum Sonnenuntergang so weitergehen, aber ich muss noch einkaufen und ein Nachtlager suchen.
Direkt unterm Leuchtturm von Hirtshals gibt es einen Campingplatz, aber der ist nicht ganz nach meinem Geschmack.

Das geht besser – kostet nur n paar extra Kilometer auf m Radl, dafür gibt’s Idylle pur.

Gut’s Nächtle